Kärntens Rechtsruck auf der Straße
Die wohl verwirrendste Geschichte der Richtungswahl im Straßenverkehr hat Österreich. Nicht nur, dass es Zeiten gab, wo verschiedene Landesteile unterschiedliche Straßenseiten benutzten, der Wechsel vom ursprünglichen Links- zum heutigen Rechtsverkehr erfolgte in vier Schritten und dauerte nicht weniger als 17 Jahre. Und Kärnten spielte im Sommer 1935 wegen der bevorstehenden Eröffnung der Großglockner-Hochalpenstraße dabei eine Vorreiterrolle.
Vor dem Ersten Weltkrieg gab es im größten Teil Österreichs – wie in der übrigen Donaumonarchie – Linksverkehr, während in Tirol und Vorarlberg Rechtsverkehr herrschte. 1915 wurde verfügt, dass generell links zu fahren sei.
1921 begann die Diskussion erneut und Vorarlberg erhielt wegen der intensiven Verflechtung mit Deutschland und der Schweiz die Erlaubnis, zum schon vor 1915 üblichen Rechtsverkehr zurückzukehren.
Die Umstellung in Vorarlberg erfolgte mit 22. August 1921. 1929 wurde vom Parlament endgültig die Einführung des Rechtsverkehrs in ganz Österreich beschlossen. Während Tirol durch den großen Anteil an Durchzugsverkehr auf der Brennerachse sofort umstellen wollte, wollte Wien damit noch länger warten, da im Zusammenhang mit dem Straßenbahnsystem sehr aufwändige und zeitraubende Umbaumaßnahmen notwendig waren.
Es gab sogar die Idee, nur in Wien den Linksverkehr für mehrere Jahre beizubehalten (was das bedeutet hätte, kann sich jeder mit Phantasie ausmalen!). Man einigte sich, nördlich des Alpenhauptkammes, westlich eines Punktes östlich der Einmündung des Gasteinertales in das Salzachtal (östlich von Lend) am 2. April 1930 den Rechtsverkehr einzuführen.
Dieser Punkt wurde gewählt, weil hier nur eine einzige Straßenverbindung als Schnittstelle zwischen Rechts- und Linksverkehr existierte.
Das übrige Österreich sollte am 1. Dezember 1932 auf Rechtsverkehr umstellen.
Wahrscheinlich aufgrund der instabilen politischen Verhältnisse und der Wirtschaftskrise zu jener Zeit verstrich dieser Zeitpunkt im größten Teil Österreichs ohne Umstellung.
Lediglich Osttirol und Kärnten stellten am 15. Juni 1935 freiwillig um. Anlass dazu lieferte die bevorstehende Eröffnung der Großglockner-Hochalpenstraße am 3. August 1935. Da hätten die vielen ausländischen Besucher, die z. B. aus Deutschland zu erwarten waren, wo rechts gefahren wurde, in Salzburg links, auf Kärntner Gebiet wieder rechts fahren müssen und bei der Rückreise wieder den unzumutbaren gefährlichen Seitenwechsel durchführen müssen.
Nach dem „Anschluss“ an Nazi-Deutschland im März 1938 wurde die Einführung des Rechtsverkehrs in Ostösterreich eiligst nachgeholt (Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich vom 18. 5. 1938, RGBL. 171). Unterstützend wirkte dabei, dass viele Verkehrsunfälle dadurch passierten, weil die deutschen Fahrzeuglenker alle auf Rechtsverkehr eingestellt waren.
Am 1. Juli 1938 wurde in Oberösterreich (mit Ausnahme des Kleinramingtales bei Steyr), der Steiermark (mit Ausnahme der Gegend um Mariazell), dem Südburgenland und Salzburg (mit Ausnahme des Pinzgaues, wo schon rechts gefahren wurde) umgestellt, am 18. September 1938 folgten schließlich Niederösterreich mit Wien, das Nordburgenland sowie das Mariazeller Gebiet und das Kleinramingtal.
Blickpunkt 202 vom 30. August 2007