Die Kärntner Urangst und andere Geschichtslügen
Die Kärntner gelten als kontaktfreudige, sonnige, gemütsvolle und fröhliche Menschen. Doch der äußere Schein trügt: Diese gemütsvollen Menschen werden von einer irrationalen Angst geplagt, die gerade am 10. Oktober wieder virulent wird, die Urangst. Als Gegenmittel greift man zum Leitspruch „Kärnten frei und ungeteilt“ und lässt den Abwehrkampf im glorreichsten Licht erscheinen.
„Die Urangst geht um wie ein Gespenst, spukt in den Seelen des kleinen, einfachen Mannes, wird laut in Wirtshausdebatten, offenbart sich in zahllosen Leserbriefen, sie verkrampft sich in den Reden von Politikern und sie beschäftigt den Psychiater“, erkannte schon der 1932 in Lavamünd geborene Autor und Historiker Dr. Herbert Knapp in seiner kontroversiellen Studie „Die Urangst des Kärntners“.
Eine moderne Definition beschreibt die Urangst „als Sammelbegriff für ein ganzes Bündel von Ängsten, die Folgen einer unaufgearbeiteten, größtenteils verdrängten Geschichte sind.“
Lesen wir weiter in der Knapp-Studie: „Wenn der Kärntner von seiner fiktiven und faktischen Urangst spricht, dann erhält der Begriff noch zusätzlich eine politisch-nationale Komponente. Es sei, so argumentiert man, die Seele des Kärntners von einer Urangst vor allem Slawentum erfasst, das seine Krallen nach der Kärntner Seele und vor allem nach dem schönen und reichen Kärntner Land ausstrecke. Daher sei auch das Misstrauen gegen den südlichen Nachbarn zu verstehen und zu tolerieren.“
Selbst Erwin Ringel hat sich dieses Urangst-Phänomens angenommen und versucht mit seinem Buch „Die Kärntner Seele. Teutonisierung und Slowenisierung“ ein wenig Licht und Objektivität in die für Außenstehende sehr verworrene Materie zu bringen.
Fakt ist, und darüber sind sich Autoren und Historiker einig, die Geschichte rund um den Abwehrkampf, und die darauf folgende Volksabstimmung wird offizieller Kärntner Seite nicht objektiv dargestellt.
Schon allein der Spruch „Kärnten frei und ungeteilt“ ist falsch und einfach die Unwahrheit. Dabei geht ist nicht um die Frage, ob Kärnten frei sei, sondern, ob Kärnten ungeteilt ist. Dazu Ass.-Prof. Mag. Dr. Valentin Sima vom Institut für Zeitgeschichte an der Universität Klagenfurt: „Auch ich halte den Leitspruch für ziemlich falsch, historisch schon allein deshalb, weil das alte Kronland Kärnten (aus der Monarchie) eben nicht ungeteilt geblieben ist: Das Kanaltal ist zu Italien gekommen, das Mießtal und die Gemeinde Seeland zu Jugoslawien.“
Auch heute noch gibt es zwei Kärnten, jenes südlichste Bundesland Österreichs,in dem wir wohnen, und das slowenische Kärnten jenseits der Grenze mit dem Namen Koroska.
Zeitgeschichtler Dr. Sima ortet noch eine zweite Lüge rund um die Volksabstimmung. „Es ist historisch eine Lüge, wenn bei den Feierlichkeiten behauptet wird, „die Kärntner“ seien geschlossen für „Kärnten“ eingetreten. Schon diese Alternative ist falsch, denn es ging um die Zugehörigkeit eines Teiles von Kärnten zur neu entstandenen Republik Österreich oder zum neuentstandenen Staat bzw. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (später Königreich Jugoslawien).
In der Abstimmungszone A haben rund 41 Prozent für Jugoslawien gestimmt, also eine beträchtliche Minderheit, etwa 15.000 Personen. Insofern kann man sagen, dass die Bevölkerung damals in dieser Frage geteilt war. Die Aufgabe der Kärntner bzw. österreichischen Politik wäre es gewesen, nach 1920 eine „Einheit“ in der Weise herzustellen, dass ein Kärnten aufgebaut wird, in dem beide Sprachen geachtet werden und auch in der Öffentlichkeit ihren Platz haben. Leider ist das Gegenteil davon geschehen.
Wir können vielleicht darauf bauen, dass im Zuge der europäischen Einigung auch diese Sache eine Wendung erfährt, obwohl heute klarerweise auf schlechterer Basis, denn, wenn vor etwa 100 Jahren noch ein Viertel der gesamten Kärntner Bevölkerung (also jeder Vierte) slowenischsprachig war, so sind es heute nur mehr ca. drei Prozent (also jeder Vierzigste).
Blickpunkt 205 vom 11. Oktober 2007