Der Niedergang des Partiachats
Heute, 40 Jahre danach, werden mit dem Begriff „68er-Generation“ weltweite Studentenunruhen, der Pariser Mai, der Prager Frühling, die Black-Power-Bewegung in den USA, Flower-Power und Hippies sowie die Friedenskundgebungen gegen den Vietnamkrieg in Verbindung gebracht. Das wirklich „Revolutionäre“ fand aber auf gesellschaftlicher Ebene statt. Das Patriarchat wurde in seinen Grundfesten erschüttert, die Frauen kamen „in Bewegung“.
Österreich blieb damals von den Studentenunruhen nahezu verschont Die alpenländische Variante des gesellschaftlichen Befreiungsschlages mutierte zum „Mailüfterl“, doch die „Frauenbewegung“ war nicht mehr aufzuhalten.
In der 68er-Revolution wurden die Weichen für den Niedergang des absoluten Patriarchats gestellt, die Gleichstellung der Frau schritt langsam aber doch stetig voran.
Heute ist es sehr schwer vorstellbar, dass damals, 1968, die „Geister der Beschränkung“ wie ein dichter, undurchdringlicher Nebel über Österreich lagen. In Vorarlberg war das Tragen von Bikinis behördlich verboten. „Wegen zu Lüsternheit aufreizender Schreibweise“ wurde im Frühjahr vom damaligen Innenminister Franz Soronics das deutsche Nachrichten Magazin „Der Spiegel“ beschlagnahmt.
Mädchen in Miniröcken wurden lauthals als „Flitscherln“ und „Schlampen“ beschimpft. Homosexualität und Abtreibung galten als schwere Verbrechen und wurden mit unbedingten Haftstrafen bestraft.
Über dem geltenden Ehe- und Familiengesetz, teilweise aus dem Jahre 1811 stammend, lag eine „Wolke aus Beton“.
Haupt der Familie
Erst 1970 wurden in Österreich uneheliche Kinder mit ehelichen rechtlich gleichgestellt. Bis 1975 galt der Mann laut dem Gesetz aus dem Jahr 1811 als „Haupt der Familie“, dem das absolute Recht zustand, „das Hauswesen zu leiten“.
Im Paragraphen 91 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches hieß es „Die Gattin erhält den Namen des Mannes und genießt die Rechte seines Standes“. In der Praxis sah es allerdings so aus, dass keine Frau ohne Einverständnis ihres Mannes einen eigenen Pass beantragen durfte, sie durfte auch ohne Einverständnis des Ehemannes keinen Beruf ausüben.
Schnulzenerlass
Das ausgerechnet der Staatsrundfunk zum medialen Begleiter der gesellschaftlichen Revolution in Österreich wurde, glaubt man heute kaum, doch es entspricht den Tatsachen. Andre Heller war 1967 Gründungsmitglied des neuen Senders Ö3 und nutzte seine mediale Präsenz, um seinen Beitrag zur Liberalisierung der Alpenrepublik zu leisten. Bestens dazu passt der „Schnulzenerlass“ vom damaligen ORF-Generalintendanten Gert Bacher.
In einem Rundschreiben vom Juli 1968 forderte der Generalintendant seine Radiomitarbeiter auf, dem musikalischen Zeitgeist Rechnung zu tragen: „In den letzten Monaten beginnt eine mir unerklärliche Schnulzeninvasion über Ö3 hereinzubrechen. Wann immer man aufdreht, säuselt einem ein germanischer Schwachsinniger in die Ohren. Da ich mein Ersuchen an diverse Ö3-Damen und -Herren richte, würde ich nach meiner Rückkehr entsprechende Konsequenzen ziehen ...“
Allerdings wurde der „begnadete Ermutiger“ Andre Heller von Gert Bacher auch (vergeblich) aufgefordert, seinen Vornamen von Andre auf Andreas zu ändern.
Während durch Ö3 die Ent-Roy-Blackisierung der Jugendkultur zugunsten von Frank Zappa, Janis Joplin, den Rolling Stones, Jimi Hendrix und Led Zeppelin zügig voranschritt, dauerte es bis 1975, als endlich auch gesetzlich das Ehe- und Familienrecht vom mittelalterlichen Mief entrümpelt wurde und neben dem neuen Familiengesetz auch die Fristenlösung im Parlament verabschiedet wurde.
Die Basis zu diesen Änderungen wurde 1968 gelegt.
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