Ausgerechnet TOMATEN!

Am 8. August wird seit einiger Zeit der internationale „Tag der Tomate“ begangen. Nicht nur in Österreich auch in Deutschland und sogar weltweit ist „Solanum lycopersicum“, wie das Nachtschattengewächs mit dem lateinischen Namen heißt, das heiße Tage und kühle Nächte braucht um reif zu werden, das bleibeste und meistgegessene Gemüse weltweit, obwohl die Tomate eigentlich eine Beere ist.

Ein Blick über den Salatteller und den Hausgarten hinweg zeigt allerdings, dass die Paradeiser mittlerweile zu einem beliebten wirtschaftlichen Spekulationsobjekt geworden sind, mit den einige Geschäftsmacher mit manchmal nicht ganz legalen Mitteln Milliarden-Geschäfte machen. Im Mittelpunkt der globalen Abzocke steht China, das mit etwa 60 Millionen Tonnen ein Drittel der Weltproduktion abdeckt. Dabei findet man Tomaten bzw. Tomatenprodukte kaum auf den Speisekarten im „Reich der Mitte“. Während Frau und Herr Österreicher pro Jahr an die 30 Kilogramm Tomaten und Tomatenprodukte, wie Ketchup oder Sugo verzehren, liegen die Chinesen im tiefen einstelligen Kilobereich.

Was machen die Chinesen mit den 60 Millionen Tonnen? Ein Blick auf den Tomatenweltmarkt zeigte, dass China nur mit 2,2 Prozent am Exportkuchen beteiligt ist. An der Spitze steht Mexico mit 24,1 Prozent vor den Niederlanden mit 22, Dritter ist Spanien mit 11,7 Prozent, die USA sind mit 3,3 Prozent gerade noch in den Top 10. Auch ein Blick auf die Exportstatistik des Edelproduktes Ketchup erklärt nicht, wo die chinesische Überproduktion hingeht. Die USA decken 18,3 der weltweiten Exporte ab, die Niederlande 16,7 und Italien 13,3 Prozent. Und China: 1,9 Prozent.

Fündig wird man erst wenn man sich die Exportstatistiken beim Tomatenmark ansieht. Fast ein Drittel wird in China produziert, 21 Prozent in Italien und 12 Prozent in Spanien. Größter Importeur ist mit 37 Prozent die EU. Ist schon komisch, wenn der zweitgrößte Tomatenproduzent der Welt (alle EU-Länder zusammengezählt) der größte Tomatenmark Importeur ist.

Das chinesische Erfolgsmodell ist einfach erklärbar. Schon vor einigen Jahren haben italienische Tomaten-Konzerne China mit Technik und Knowhow versehen, damit im Reich der Mitte kostengünstig (die Arbeiter bekommen einen Cent pro Kilogramm als Lohn) Tomaten gepflanzt, geerntet und zu Tomatenmark verarbeitet und wieder nach Italien eingeführt werden können. Mit dem chinesischen Tomatenmark wird in einigen italienischen Firmen das berühmte italienische Sugo EU-konform (der Ursprung des Rohmaterials ist der EU egal, es muss nur in einem EU-Land weiterverarbeitet werden), hergestellt. Mittlerweile wurde bereits die eine oder andere italienische Sugo-Fabrik von den Chinesen aufgekauft, wo selbstverständlich chinesisches Tomatenmark verarbeitet wird.

Eine beindruckende und zugleich bedrückende Dokumentation über dieses Wirtschaftsmodell, das China zum führenden Globalplayer mit seinen Industrie-Tomaten auf dem Welt-Tomatenmarkt aufsteigen ließ, war unlängst im ZDF zu sehen. Unter dem Titel „Rotes Gold – Die Geheimnisse der Tomatenindustrie“ recherchierten Jean-Baptiste Malet und Xavier Deleuauf vier Kontinenten über die Machenschaften der Tomaten-Industrie. In dieser Doko brüsten sich chinesische Agar-Industrielle damit, dass weltmarktführende Konzerne wie Nestle, Unilever oder Heinz ihre Tomatenrohstoffe aus Kostengründen bei ihnen beziehen.

Etwas happig wird es bei der Sequenz über die chinesischen Tomatenmark-Exporte nach Afrika. Diese Produkte enthalten, so der Bericht, manchmal nur 45 Prozent Tomaten, der Rest wird mit billigen Sättigungsmitteln wie etwa Soja gestreckt. Gewollte Nebenerscheinung durch die chinesische Billigware: Die regionale, bäuerliche Tomatenproduktion ist zum Beispiel in Ghana vor dem Zusammenbruch.

Das Erfolgsmodell der chinesischen Tomatenindustrie wird wohl noch eine Zeit lang erfolgreich sein. Allein auf den Ketchup-Markt rechnen Ökonomen weltweit mit alljährlichen Zuwachsraten mit 2,4 Prozent. Und „General“ Liu Yi, einer der chinesischen Tomaten-Kaiser, der bereits vor Jahren einen italienischen Produzenten aufgekauft hat und nun Ghana erobern will, denkt auch an den eigenen Markt im Reich der Mitte. „Ich glaube, in fünf bis sechs Jahren werden auch in China endlich Tomatenprodukte auf den Markt kommen, denn immer mehr Menschen essen bei McDonald’s. Und wenn erst einmal in China sieben bis acht Kilo Tomaten pro Jahr gegessen werden, werden zehn Milliarden Kilo Tomaten benötigt. Es gibt noch ein sehr großes Entwicklungspotential für diese Industrie!“

Pamphletius

August 2020

Literaturtipp:

„Das Tomatenimperium: Ein Lieblingsprodukt erklärt den globalen Kapitalismus“ von Jean-Baptist Malet